Antisemitismus in der Gastronomie: "Man muss jemanden wirklich hassen, um so etwas zu tun" (2024)

Ein Deli, das nach antisemitischen Übergriffen umzieht; ein Restaurantleiter, der als "Kindermörder" beschimpft wird; Gäste, die zuerst nach einem Sicherheitsdienst fragen – und dazwischen Gesten der Solidarität. Wir haben mit Gastronominnen und Gastronomen jüdischer und israelischer Restaurants in Deutschland über antisemitische Vorfälle nach dem 7. Oktober 2023 gesprochen. Das sind ihre Geschichten. Dieser Artikel ist Teil vonZEIT am Wochenende, Ausgabe 23/2024.

"Über kurz oder lang werden meine Frau und ich nach Israel gehen"

"Nach drei Jahren in Berlin-Friedrichshain sind wir mit unserem Restaurant in einen anderen Teil der Stadt gezogen. Wir fühlten uns dort nicht mehr sicher und hatten das Gefühl, uns blieb keine Wahl. Das erste Mal ließen wir unseren Laden für einen ganzen Tag am 13. Oktober geschlossen, damals rief die Hamas zu Anschlägen auf israelische Einrichtungen außerhalb Israels auf. Das nahmen wir sehr ernst, auch aus Sorge um unsere Kunden und Mitarbeiterinnen. Wer wie ich aus Israel kommt, wächst mit dem Verständnis auf, permanent Angriffsziel zu sein. Meine Frau, mit der ich das Restaurant mittlerweile gemeinsam betreibe, stammt aus einer jüdischen Familie in Australien. Anders als in Israel kennt man dort zwar keine permanente Bombenwarnung, ansonsten ist ihre Erfahrung eine ähnliche. Schon von klein auf lernst du, was im Falle eines Anschlags zu tun ist. In jüdischen Schulen trainieren Kinder Evakuierungen.

In der Anfangszeit des Konfliktes lief bei uns primär die Angst mit. Wir hatten zunächst nur einige wenige 'Free Palestine'-Sticker an der Fassade kleben. Das änderte sich drastisch Ende März, als die UN-Sonderberichterstatterin von Anzeichen auf einen Völkermord in Gaza sprach. Die Sticker an unserem Restaurant wurden immer mehr. Am Frauentag hatte ich ein Poster in unser Fenster gehängt, das Fotos von Frauen zeigte, die am 7. Oktober von der Hamas als Geiseln genommen wurden. Das war für uns ein Wendepunkt: Drei Männer, die vorbeigingen, sahen das und schmissen Bierflaschen gegen die Scheibe. Wir konnten sie von innen sehen. Endgültig entschieden wir uns zu gehen, als jemand 'Free Gaza f*ck Israel' in einen unserer Tische geritzt hatte. Alles vorher hatte sich draußen abgespielt. Der Umstand, dass da jemand in unseren Space gekommen war, mit uns kommuniziert hatte, vermutlich unser Essen gegessen hatte, verstört uns total. Man muss jemanden wirklich hassen, um so etwas zu tun. Als wir auf Instagram posteten, dass das Restaurant aufgrund der Schnitzereien geschlossen bleibt, bekamen wir jede Menge Hasskommentare, darunter 'Viel Spaß dabei, auf der falschen Seite der Geschichte zu stehen' oder 'Boo hoo heult doch noch mehr deswegen rum'.

Ich liebe meine Heimat, aber wenn es darum geht, die israelische Regierung zu kritisieren, bin ich die Erste, die die Hand hebt. Es hat Gründe, dass ich in Deutschland lebe und nicht dort. Als ich 2014 nach Berlin kam, fühlte ich hier eine wahnsinnig große Freiheit. Ich persönlich möchte niemanden repräsentieren. Aber für viele Menschen repräsentieren wir 'die Juden'. Wir werden zur Zielscheibe, weil wir Juden sind. Meine Frau war früher in linken Kreisen aktivistisch unterwegs. In den Kreisen wird der Nahostkonflikt als postkoloniale Debatte gelesen. Viele Freundschaften sind daran zerbrochen. Der Krieg ist eine isolierende Erfahrung.

Das DoDa's eröffnen wir jetzt in Berlin-Wilmersdorf wieder, wir bemühen uns aktuell um eine Zertifizierung als koscheres Restaurant. Es trägt den Namen Or by DoDa. 'Or' bedeutet 'Licht' auf Hebräisch. Es ist auch der Name meiner Nichte, deren Geburtstag der 7. Oktober ist. Wir wollen sie damit ehren und all die Hoffnung und Liebe, die sie verkörpert. Das neue Restaurant liegt schräg gegenüber einer jüdischen Gemeinde, das gibt uns ein Gefühl von Sicherheit. Was die Lage für uns Juden in Deutschland und Europa betrifft, bin ich pessimistisch. Über kurz oder lang werden meine Frau und ich nach Israel gehen. Für Juden ist das der einzig wirklich sichere Ort auf der Welt."

Raz Rivlin, 45, betreibt gemeinsam mit ihrer Frau Jenny Rivlin, 40, das DoDa's Deli in Berlin, das sie als Or by DoDa in Wilmersdorf wieder eröffnen. Sie arbeiten an einer Zertifizierung als koscheres Restaurant. Außerdem bieten sie Catering an.

"Deutschland ist wahrscheinlich der einzige Staat der Welt, der eine Situation wie meine so ernst nimmt"

"Was sich für mich verändert hat? Nicht viel – außer, dass ich seit dem 14. Oktober 2023 rund um die Uhr Polizeischutz habe. Am Tag zuvor hatte die Hamas dazu aufgerufen, jüdische Menschen und ihre Geschäfte anzugreifen. Aus Angst um meine Mitarbeitenden und mich wollte ich mein Lokal mittags erst nicht öffnen. Doch Fußballfans von Eintracht Frankfurt, die an dem Tag wegen eines Freundschaftsspiels in der Stadt waren, setzten sich zu mir in den Laden und versprachen, mich zu beschützen, sodass ich doch aufmachen konnte. Über die jüdische Gemeinde und direkte Anrufe bei der Polizei, in denen ich darum gebeten habe, dass der Laden weiterhin geschützt wird, kam am Tag danach der ständige Schutz. Seitdem fühle ich mich sicher. Deutschland ist wahrscheinlich der einzige Staat der Welt, der eine Situation wie meine so ernst nimmt."

Eldar Fano, 43, gehört die Akko Hummus Bar in Leipzig-Plagwitz. Er ist vor 18 Jahren aus Israel ausgewandert.

"Einmal gegrillter Jude, bitte"

"Alle zwei, drei Monate rufen irgendwelche Kinder an für Telefonstreiche: 'Einmal gegrillter Jude, bitte' oder so was, das nehme ich gar nicht ernst. Und wir hatten seit dem 7. Oktober nicht mehr Übergriffe als sonst. Aber es kommen spürbar weniger Gäste, am Anfang gab es massenweise Absagen, bis heute liegen wir zehn bis 20 Prozent unter der Auslastung im September 2023. Zusammen mit der Mehrwertsteuererhöhung zum Jahreswechsel ist mir insgesamt die Hälfte der Gewinnmarge weggebrochen.

Am Anfang gab es noch Gäste, die aus Solidarität zu uns kamen. Die haben das ein bisschen abgefedert, zum Beispiel hatten wir plötzlich viele Ein-Personen-Reservierungen, das gab es vorher fast nie. Es hielt allerdings nicht lange. Ich mache mir Sorgen, weil ich nur dieses Restaurant habe, das ist meine einzige Einnahmequelle. Falls jetzt noch irgendwas dazukommt, ist meine Existenz in Gefahr. Darum halte ich mich auch bedeckt zum Thema Antisemitismus – ich würde gern rausgehen und mich mit den Idioten anlegen, aber das ist zu gefährlich. Eine Hasswelle würde ich nicht überstehen. Trotzdem bleibe ich zuversichtlich, selbst im größten Chaos gibt es eine Perspektive. Wer durchhält, wird sich danach eine Zukunft aufbauen können."

Jonathan Becker* betreibt ein israelisches Restaurant in Berlin.

"Von Kunden und Nachbarn aus der arabischen Community haben wir von Anfang an Solidarität erlebt"

"Unser Restaurant liegt mitten in Berlin-Neukölln, dort, wo im vergangenen Jahr die propalästinensischen Demonstrationen stattfanden, die in ganz Deutschland durch die Medien gegangen sind. Ein Übergriff auf unser Lokal hat seit dem 7. Oktober nicht stattgefunden. Von Kunden und Nachbarn aus der arabischen Community haben wir im Gegenteil von Anfang an Solidarität erlebt. Trotzdem leiden wir unter den Konsequenzen des Krieges. Vor allem unter der Angst. Im November hatten wir einen Tag, für den erstaunlich wenige Reservierungen reinkamen. Ich konnte es mir zunächst nicht erklären, da wir eigentlich immer voll sind. Bis ich realisierte: Es war der Jahrestag der Reichspogromnacht. Was mich traurig macht, ist jedoch, wenn ich mitbekomme, dass uns einige Menschen mit arabischem Background meiden. Wir waren immer glücklich, dass unser Restaurant ein Ort der Vielfalt ist, dass Menschen zu uns kommen, die unsere Levante-Küche kennen und verstehen. Das spiegeln wir nicht zuletzt auch selbst: Wir servieren die vielfältigen Geschmäcker, mit denen wir aufgewachsen sind."

Anton Pilz, 35, ist in Israel aufgewachsen und lebt seit er 19 ist mit Unterbrechungen in Berlin. Im Stadtteil Neukölln betreibt er seit 2020 das Restaurant Café Pilz. Um die Ecke hat er vor Kurzem mit dem Pilz Imbiss einen zweiten Laden aufgemacht.

"Mit Rafah steigt die Anspannung"

"Bei uns ist seit dem 7. Oktober zum Glück kaum etwas passiert. Im Mai war der Umsatz etwas niedriger, aber ich habe von nichtjüdischen Gastronomen gehört, dass es bei ihnen ähnlich war. Ob das nun Glück ist, dass wir verschont bleiben oder daran liegt, dass wir uns in der Bar Shuka als Ort der Freundschaft positionieren, kann ich nicht sagen. 'Israel meets Palestine' ist einer unserer Slogans. Vielfalt spürt man auf der Karte und beim Personal. Viele, die bei uns arbeiten, haben einen muslimischen Hintergrund. An einen Vorfall kann ich mich in dem Zusammenhang erinnern: Auf einer Veranstaltung kam ein Mann zu unserer offenen Küche und sagte zu einigen unserer Mitarbeiter: 'Was arbeitet ihr für den colonizer, das ist haram.' Sie entgegneten: 'Du hältst eine Bierflasche in der Hand, erzähl du uns nicht, was haram ist.' Alkohol ist für gläubige Muslime nicht erlaubt. Mein Bruder, der auch mein Geschäftspartner ist, ging dazwischen und sagte zu dem Mann, er sei herzlich eingeladen, friedlich mit uns zu sein. Wenn das nicht möglich sei, müsse er gehen.

Doch auch wenn bislang alles recht ruhig war, steigt gerade die Anspannung in mir als Deutscher mit jüdischen Wurzeln: Überall in den sozialen Medien begegnet mir der Slogan 'All Eyes on Rafah'. Ich habe kein Gefühl, wie das weitergeht. Gerade bin ich in den Urlaub gefahren. Ich habe ein T-Shirt mit Tel-Aviv-Print und mir dreimal überlegt, ob ich es einpacke. Nicht so sehr aus Angst, aber weil ich keine Lust habe, blöd angemacht zu werden, vor allem nicht, wenn ich mit meiner Tochter unterwegs bin. Dass ich darüber nachdenken muss, hat mir zu denken gegeben. Israels Premier Benjamin Netanyahu finde ich furchtbar, da braucht man gar nicht drüber reden, man kann auch sicher einiges am Vorgehen Israels kritisieren. Aber dass der Nahostkonflikt so viel Aufmerksamkeit bekommt im Gegensatz zu anderen schlimmen Weltlagen wie etwa in Afghanistan, liegt meiner Meinung nach auch am tief verwurzelten Antisemitismus. Wenn wir es schaffen, etwas gegen alles Leid in allen Konflikten zu tun, dann brächte uns das als Menschheit nach vorn."

James Ardinast, 52, betreibt gemeinsam mit seinem Bruder David diverse Restaurants in Frankfurt am Main, darunter das israelische Restaurant Bar Shuka.

"Für uns hat sich nach dem 7. Oktober nichts verändert"

"Für uns hat sich nach dem 7. Oktober nichts verändert, es gab bisher keine Angriffe, keine Schmierereien, keine Beschimpfungen."

Dmitri Matschenko, Kellner im Pasternak, einem seit 30 Jahren etablierten russisch-jüdischen Restaurant in Berlin Prenzlauer Berg

"Koschere Restaurants sollten besser bewacht werden"

"Wenn Gäste zu uns kommen, ist die erste Frage: 'Haben Sie einen Tisch frei?' – und die zweite: 'Gibt es einen Sicherheitsdienst oder Polizeischutz?' Ich verstehe die Angst der Leute, wir machen uns auch Sorgen. Wir hatten schon mehrere Anrufe, in denen nur 'Free Palestine' oder 'From the River to the Sea' gebrüllt und direkt wieder aufgelegt wurde. Schmierereien oder gar körperliche Angriffe hatten wir zum Glück noch keine.

Ich finde, der deutsche Staat sollte in dieser Situation mehr tun zu unserem Schutz. Nicht nur jüdische Schulen oder Synagogen brauchen Polizeipräsenz, auch koschere Restaurants sollten besser bewacht werden. Ich finde auch, dass die ganzen Demonstrationen für Palästina ein No-Go sind, sie sollten nicht erlaubt sein."

Naomi Krol, 37, hat 2023 gemeinsam mit ihrem Mann David Krol das Shalom Makkabi gegründet, ein koscheres Restaurant auf dem Gelände des Makkabi Tennis & Squash Parks in Frankfurt am Main.

"Antisemitismus gibt es seit Jahrtausenden, da wird auch dieser Artikel nichts dran ändern"

"Vor zwei Jahren habe ich ein Kochbuch namens Shalom Kitchen herausgebracht. Shalom heißt so viel wie Frieden oder Wohlergehen. Man sagt ja, Essen kann Menschen über alle Kulturen hinweg zusammenbringen. In der aktuellen Weltlage erscheint mir der Titel aber absurd. Ich habe auch keine Lust mehr, zu dem Thema etwas zu sagen. Antisemitismus gibt es seit Jahrtausenden. Es wäre mal an der Zeit, wen anderes zu hassen. Ändern wird auch dieser Artikel nichts, egal, wie wund Sie sich Ihre Finger tippen. Weil es immer nur die gleichen Leute lesen."

Florian Gleibs, 52, hat 2022 das israelische Restaurant Schmock in München an neuer Stelle wieder eröffnet, nachdem er es 2016 wegen vieler antisemitischer Vorfälle geschlossen hatte.

"Viele Leute haben Angst, zu uns zu kommen"

"Wir hatten wirklich ein paar harte Monate. Manchmal haben Leute mitten in der Hauptstoßzeit angerufen und einfach 'Free Palestine' ins Telefon geschrien. Zum Glück gab es noch keine körperliche Gewalt, aber immer wieder Vandalismus: vor allem Graffiti-Tags an der Hauswand, auf den Fenstersimsen, in den Toilettenkabinen. Die Polizei hat uns aber sehr geholfen, sie hat unsere Umgebung gut bewacht, vor allem am Anfang. Inzwischen gibt es zwar weniger Polizeipräsenz, aber im Allgemeinen fühle ich mich von der Polizei beschützt. Das geht nicht allen unserer Gäste so. Viele Leute haben Angst, zu uns zu kommen, das war vor allem in den ersten Monaten des Krieges so – es ist aber immer noch so, wenn es in Neukölln Demonstrationen gibt. Aber ich bleibe optimistisch, das bin ich immer. Ich will nur, dass der Krieg zu Ende geht. Ich will Frieden."

Sasha Morgan, 33, betreibt das AVIV 030, ein israelisches Restaurant in Berlin-Neukölln. In diesem Frühsommer eröffnet sie direkt daneben die Weinbar LOBBY 030.

"Seitdem sind wir ein Restaurant ohne Kunden"

"Der 7. Oktober hat uns in den Bankrott getrieben. Plötzlich, von einem Tag auf den anderen, sind bei uns die Tische leer geblieben. Das liegt auch daran, dass unsere Gäste hauptsächlich israelische Touristen waren. Von denen kommt niemand mehr nach Deutschland – und die Deutschen kommen auch nicht mehr. Ich habe im November einen Post auf unserer Facebook-Seite veröffentlicht, in dem ich unsere Situation geschildert habe, ich habe geschrieben, dass wir dringend mehr Gäste brauchen. Ein Kommentator schrieb nur: "Der Genozid hat den Leuten wahrscheinlich den Appetit verdorben." Seitdem sind wir ein Restaurant ohne Kunden. Ich habe allein von Oktober bis Dezember ungefähr 20.000 Euro Minus gemacht. Gerade heute habe ich mich mit Interessenten getroffen, die den Laden übernehmen möchten. Da eröffnet dann wahrscheinlich ein türkisches Restaurant. Uns gibt es seit 2003, über 20 Jahre. Der 7. Oktober hat alles kaputt gemacht. Ich hätte mir schon gewünscht, dass jüdische Restaurants in Deutschland besser unterstützt würden."

Chaimi Fröhlich, 49, führte von 2003 bis 2023 das Restaurant und Catering-Unternehmen Bleiberg's. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

"Die Menschen nutzen den Krieg als Ausrede, noch mal ihre gesamte Vorurteilspalette über das Judentum abzuladen"

"Angriffe oder Vandalismus gab es bei uns zum Glück nicht. Aber die Rhetorik hat sich extrem verschärft. Ich persönlich werde am Telefon, per E-Mail oder in Internetbewertungen 'Kriegsverbrecher' genannt. Mir wird vorgeworfen, dass ich überhaupt noch ein Restaurant betreibe und Fotos davon auf Instagram poste, während in Gaza Kinder verhungern. Die Menschen nutzen den Krieg als Ausrede, noch mal ihre gesamte Vorurteilspalette über das Judentum abzuladen. Für viele sind wir offenbar weniger ein koscheres Restaurant, sondern eher die israelische Botschaft.

Seit dem 10. Oktober bis vor etwa anderthalb Monaten wurden wir permanent von der Polizei bewacht, bis heute sind die Beamten punktuell immer wieder da. Das ist schon sehr bemerkenswert, Kompliment. Aber zugleich natürlich ein irritierendes Bild, das waren wir in Chemnitz nicht gewohnt. Was mich besonders beschäftigt: In den letzten zehn Jahren waren wir jeden Abend ausgebucht, seit dem 7. Oktober kommen immer weniger Gäste. Neulich hatten wir zwei Paare bei uns, das war's. Ich empfinde die Situation ein Stück weit als dramatisch.

Von den Sicherheitsbehörden bin ich angehalten, über meiner Kippa eine Basecap oder einen Hut zu tragen, wenn ich das Haus verlasse. Aber wenn es mal warm ist und ich die Mütze abnehme, dann kann es schon passieren, dass Leute vor mir auf den Boden spucken. Gerade in den ersten drei Monaten nach dem 7. Oktober habe ich viele Solidaritätsbekundungen bekommen, mit denen es aber auch nicht leicht ist umzugehen. Stellen Sie sich das vor, wie 100 Meter durch ein Becken mit Honig zu schwimmen, da geht Ihnen auch die Puste aus. Und das Tragische ist, dass selbst nette Gäste von mir wollen, dass ich Netanjahu anrufe und ihn auffordere, das Kindermorden zu beenden. Inzwischen erwidere ich in solchen Fällen: 'Rufen Sie bitte Herrn Scholz an und sorgen Sie dafür, dass die Mehrwertsteuer für die Gastronomie wieder auf 7 Prozent runtergesetzt wird. Wenn das klappt, melde ich mich bei Netanjahu, dann haben wir sicherlich sofort Frieden.'

Uwe Dziuballa, 59, ist Inhaber und Betreiber des Restaurants Schalom in Chemnitz, das er im Jahr 2000 eröffnet hat.

"So mutig sind die Antisemiten offenbar dann doch nicht"

"Nach dem 7. Oktober 2023 haben wir im Beth Café viel Zuspruch und Ermutigung erfahren – aber leider auch Abkehr und Ablehnung. Manche Leute haben absurderweise konkret uns übel genommen, dass Israel zurückgeschlagen hat, andere sind aus Angst weggeblieben.

Das Café ist Teil unseres Gemeindehauses und wird deshalb, wie alle jüdischen Gemeindeeinrichtungen, rund um die Uhr polizeilich geschützt. Vermutlich gab es deswegen noch keine Schmierereien oder unmittelbaren physischen Angriffe. So mutig sind die Antisemiten offenbar dann doch nicht. Das gilt leider nicht für Pöbeleien und Beleidigungen, die kamen schon mehrfach vor, immer von Leuten, die wir nicht kannten. Wir erteilen ihnen sofort Hausverbot.

Wir wünschen uns von den Menschen in unserer Stadt aktive Solidarität und Anteilnahme. In diesen schweren Zeiten ist es wichtig für alle, denen jüdisches Leben am Herzen liegt, regelmäßig auch jüdische Einrichtungen zu besuchen. So wie unser Beth Café."

Das Team des Beth Café in Berlin-Mitte wollte sich nur äußern, wenn es in der Anonymität des Kollektivs sprechen darf. Das Café ist Teil der Israelitischen Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin.

"Die Leute suchen nach Menschen, die sie beschuldigen können"

"Die Zeit direkt nach dem 7. Oktober habe ich als sehr schwierig empfunden. Ich hatte Angst und wusste nicht, was mich erwartet. Im Dezember habe ich dann eine Veranstaltung mit der israelischen Initiative Standing Together organisiert, deren Ziel es ist, arabisch-israelische und jüdisch-israelische Gemeinschaften zusammenzubringen. Das hat mir Hoffnung gegeben und ich hatte das Gefühl, dass ich anderen Hoffnung geben kann. Dass es etwas gibt, wenn der Krieg eines Tages vorbei sein sollte. Mit meiner jüdisch-israelischen Identität zu arbeiten, ist aber grundsätzlich schwierig. Ich bin nicht damit einverstanden, was die israelische Regierung macht, aber werde mit ihr in einen Topf geworden. Letzte Woche erst hatte ich eine Onlinebewertung, in der mir vorgeworfen wurde, dass ich Apartheid unterstützen würde – obwohl das nicht ferner von der Wahrheit sein könnte. Es gibt so viele Falschinformationen und Wut im Moment, dass die Leute nach Menschen suchen, die sie beschuldigen können. Davon abgesehen habe ich nichts Schlimmeres erlebt. Unser Restaurant ist aber auch in einem Museum und dadurch wahrscheinlich gut geschützt. Generell muss man sagen: Ich bin kein Opfer, ich bin nicht die Geschichte. Was in Nahost vor Ort passiert, ist das viel verheerendere Problem."

Shani Leiderman, 40, ist in Israel geboren und lebt seit 2012 in Deutschland. Sie bietet im Beba Restaurant im Martin-Gropius-Bau in Berlin-Kreuzberg Gerichte aus der gesamten jüdischen Diaspora an, "von Persien bis Russland, von Argentinien bis Jemen".

"Außerhalb von Israel bleibst du als Jude besser unauffällig"

"Vor zwei Jahren hatte ich auf einem Straßenfest einen Streetfood-Stand. 'Israelisches Essen' stand in fetten Buchstaben darüber. Seit dem 7. Oktober würde ich auf so eine offensichtliche Beschilderung verzichten, um meine Mitarbeiter und mich zu schützen. In der Weltlage bleibe ich als Jüdin lieber unter dem Radar. In dem Verständnis wachsen wir sowieso alle auf: Außerhalb von Israel bleibst du als Jude besser unauffällig. Du äußerst dich nicht laut, du zeigst auf der Straße keine Davidsternkette, Männer tragen die Kippa versteckt unter einem Hut. Ich kann das verstehen, nach dem, was auch ich in den vergangenen Monaten erlebt habe. Neben ein paar 'Free Palestine'-Stickern und -Anrufen kam kurz nach den Angriffen der Hamas ein Mann in den Laden und sagte: 'Bei euch kaufe ich nicht, wegen dem, was ihr in Gaza macht.' Was soll man darauf entgegnen? Ich bin Gastronomin, keine Politikerin."

Lea Shem-Tov*, israelische Gastronomin, die in Norddeutschland ein Deli mit Catering betreibt.

"Heute leiden wir, weil wir Juden sind"

"Bis Ende Oktober war noch alles normal. Aber als Israel in den Gazastreifen eingerückt ist, hat sich die Kundschaft quasi halbiert. Ich habe weder den Koch gewechselt, noch die Service-Leute, alles war gleich, nur der Umsatz ist eingesackt. Man muss schon naiv sein, um die Parallele nicht zu sehen. Nachdem die Frankfurter Rundschau einen Bericht über die eingebrochenen Umsätze gebracht hat, kamen viele Menschen, weil sie uns helfen wollten. Das waren schöne Wochen, aber leider hat der Effekt nicht angehalten. Während Corona haben wir schon gelitten. Aber das hat alle Gastronomen betroffen. Heute leiden wir, weil wir Juden sind. Wir bekommen regelmäßige Anrufe mit unterdrückter Nummer und werden gefragt, ob wir in unserer Küche mit Gas kochen, und dass Hitler uns alle vergasen sollte. Aber grundsätzlich bin ich froh, dass ich gerade in Deutschland bin und nicht in Irland, England oder Spanien. Hier fühle ich mich noch wohl. Wobei ich nicht glaube, dass ich für den Rest meines Lebens hierbleiben kann. Irgendwann muss ich mit meiner Familie nach Israel ziehen, weil es sonst nirgends sicher für uns ist."

Nir Rosenfeld, 56, ist in Israel geboren und lebt seit 2004 mit seiner Familie in Frankfurt am Main. Neben dem Kuli Alma betreibt er unter anderem auch das Life Deli im Jüdischen Museum Frankfurt am Main.

"Wenn wir etwas abbekommen haben, dann Solidarität"

"Wir haben zum Glück keine Angriffe, keinen Hass abbekommen und auch das Geschäft lief weiter wie bisher. Vielleicht liegt das daran, dass wir von außen nicht wirklich als israelisches Restaurant erkennbar sind. Aber gerade nach dem Terroranschlag vom 7. Oktober kamen viele Gäste und erkundigten sich nach unseren Familien. Wenn wir etwas abbekommen haben, dann Solidarität. Nur am 13. Oktober, als die Hamas zum 'Tag des Zorns' aufrief, haben bei uns Gäste angerufen und ihre Reservierung storniert, weil sie Angst hatten, dass ihnen etwas passieren könnte. Zum Glück ist aber alles ruhig geblieben."

2015 hat Jörg Moehring, 40, zusammen mit seinem jüdischen Geschäftspartner das Nana in München aufgemacht. Heute führt er es alleine, weil sein Partner aus "Wetter-Gründen" nach Mallorca ausgewandert ist.

"Ich finde es traurig, wie viel Hass schon in Kindern stecken kann"

"Sobald etwas im Nahen Osten passiert, können wir uns sicher sein, dass die Zahl der antisemitischen Vorfälle in und rum um unser Restaurant zunimmt. Gerade hat ein junger Mann, der bei uns für einen Lieferservice Essen abholen wollte, gesehen, dass es sich um ein jüdisch-israelisches Restaurant handelt und meinen Kollegen als 'Kindermörder' beschimpft. Mit dem Lieferservice habe ich direkt Kontakt aufgenommen, der Fahrer wurde gesperrt. Ich finde es traurig, wie viel Hass schon in Kindern stecken kann. Es gibt da eine Gruppe von Heranwachsenden, die treten beim Vorbeigehen auf dem Schulweg regelmäßig an unser Restaurantschild. Neulich sagte eine Kinderstimme am Telefon: 'Geh zurück in den Holocaust' und legte kichernd auf. Die Leute rufen nicht anonym an, sondern mit ihrer Nummer! Wenn es bei einem Vorfall Zeugen gibt oder das besonders heftig war, zeige ich es bei der Polizei an. Ich würde mir wünschen, dass solche Taten dann auch wirklich Konsequenzen haben. Täter fühlen sich hier zu sicher. Zum Glück gibt es auch Gäste, die sagen: Ich komme jetzt erst recht."

Leo Carnein, 27, ist Restaurantleiter im Feinberg's in Berlin, wo es schon in der Vergangenheit wiederholt zu antisemitischen Übergriffen kam. 2017 ging ein Video um die Welt, das zeigt, wie Restaurantbesitzer Yorai Feinberg minutenlang antisemitisch beleidigt wurde.

"Wir haben es geschafft, Politik Politik sein zu lassen und sind Freunde geblieben"

"Fast unser gesamtes Team besteht aus Israelis. Aber trotzdem identifizieren wir uns nicht wirklich als israelisches Restaurant. Vielleicht haben wir deshalb keinen Hass abbekommen. Im Gegenteil: Viele Gäste fragten in den letzten Monaten sehr besorgt nach unseren Familien, erkundigten sich mehr als sonst nach unseren Kochtechniken oder den Ideen hinter unseren Gerichten. Ich nehme an, dass sie uns damit ihre Unterstützung ausdrücken wollen. Ich hatte mir eher Sorgen gemacht, dass wir Probleme mit unseren Zulieferern bekommen könnten, denn viele davon sind Palästinenser. Als ich das erste Mal nach dem 7. Oktober zu meinem Gemüsehändler ging, hatte ich Angst, weil ich nicht wusste, wo wir jetzt stehen. Aber er kam raus, hat mich umarmt und gefragt, ob meine Familie sicher sei. Und ich habe mich nach seiner Familie erkundigt. Koexistenz ist zumindest im Kleinen möglich. Wir haben es geschafft, Politik Politik sein zu lassen und sind Freunde geblieben. Unser Frühlingsmenü war dieses Jahr eine Hommage an die Koexistenz. Ich hoffe sehr, dass das nicht nur bei unserem Essen bleibt."

Gal Ben-Moshe, 38, ist in Israel geboren und machte als Koch Stationen in Tel Aviv, Chicago und London, bevor er 2018 sein eigenes Restaurant in Berlin eröffnete. Im Prism hat er sich einen Michelin-Stern erkocht.

*Pseudonym. Gründe für die Anonymisierung finden Sie in unserem Infokasten "Hinter der Geschichte".

Antisemitismus in der Gastronomie: "Man muss jemanden wirklich hassen, um so etwas zu tun" (2024)

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